Meinem Kopf auf den Leim gegangen

Pseudohalluzinationen? Ach, was habe ich nicht alles unternommen, um davon wenigstens nicht eiskalt überrascht zu werden. Bei dem Schlafmangel in den kritischen Tagen am Start, allein im Ruderboot auf dem Ozean, gehört das eigentlich schon ganz automatisch zum Programm. Und trotzdem, ich dachte noch bis heute, dass gerade mir das nicht passieren wird. Bin doch viel zu clever, weiss doch wo der Hase luft, bin viel zu gut vorbereitet … na, ihr wisst schon, der bliche Sülz. Aber war dann wohl mal nix – sitze heute Abend im Rudersitz, und lache mich kaputt darüber, dass ich seit Tagen einer Pseudohalluzination auf dem Leim gegangen bin. Und wer wäre ich, würde ich das einfach verschweigen, und nicht soverän in den Blog setzen.

Man erwartet immer kleine grüne Kobolde, die über die Bordwand krabbeln, aber gerade die hatten wohl keine Zeit. Und die Lieder, die tote Seemnner auf dem Meeresgrund für mich spielen, kann ich mittlerweile schon recht sicher dem Wind zuordnen, der da unter meinen Solarpanels faulenzt. Ziemlich sicher jedenfalls. (Nun erzählt mir bloss nix anderes! *g)

Aber ernsthaft, seit fast 5 Tagen folgt mir ein schwarzer Vogel. Ein ganz kleiner, könnte fast eine Fledermaus sein. Wunderte mich anfangs wenig, war ja beschäftigt genug damit anderen Schiffen auszuweichen, wach zu bleiben, zu rudern und den Magen in den Griff zu bekomen – aber dann irgendwann zückte ich die Kamera und wollte meinen Begleiter fürs Tagebuch festhalten. Stämdig das gleiche Spiel: Wann immer ich den Blick zur Kamera senkte und wieder aufrichtete: der Vogel war weg. Einfach weg, in den Wellen verschwunden. Gut, Pech gehabt, dachte ich. Dann halt morgen auf ein Neues. Aber es war entweder zu dunkel, oder der Vogel hob sich vom Kontrast nicht vor den Wellen ab. Jeden Morgen und jeden Abend das selbe Spiel. Irgendwann heute kamen mir die ersten Zweifel und ich began darber nachzudenken, ob man Wahnobjekte denn eigentlich auch auf Fotos zu erkennen meinen würde. Kam aber zu dem Schluss, dass es wohl in der Natur der Sache begündet liegt, dass sich irgendwo immer einen Grund finden wird, weshalb sich das Objekt denn gerade nicht fotografieren ließe. Hey, Moment mal! … genau diese Gründe fand ich ja schon seit Tagen. Mein Plan war schnell gefasst: Ich warte bis zum Abend, die Kamera bleibt an und ich würde fotografieren ohne den Blick auch nur einen Moment vom Vogel zu lassen. Nun erwartete ich folgendes: Entweder der Vogel würde zun ersten mal nicht am Abend erscheinen, oder es wäre wieder zu dunkel, oder fehle an Kontrast – was für mich nahezu ein Beweis wäre, dass der Vogel nicht wirklich existiert und nur über dem hellen geistigen Horizont fliegen kann.

Als die Sonne unterging erwartete ich die Strategie meines Unterbewusstseins oder eben doch einen echten Vogel – war gespannt welche neue Ausrede mein Verstand finden sollte. Und plötzlich, welche Überraschung!, war er da. Hoch genug, um sich über den dunklen Wellen am noch hellen Himmel abzuzeichnen. Traumfotoverdächtig! Mutig, mutig, dachte ich – Blick fixiert auf den Vogel. So nah wie heute war er sowieso noch nie. Ich hob die Kamera, bereit zum Schuss. Und plötzlich, vor meinen Augen verschwindet er. Nicht in den Wellen, nicht in der Dunkelheit, nein, er löst sich in Luft auf! Wow.

Die Sinne spielen hier schon ihre Steiche mit mir. Und das ist ja auch verständlich. Besonders nachts erwacht die Phantasie. Die Wellen sind im Moment meist hunterte von Metern lang und rollen mit ca. 3 Metern Höhe auch im Sternenlicht gut sichtbar vom Horizont heran. Das allein wirkt schon gewaltig in diesem kleinen Boot, aber daran gewöhnt man sich recht schnell. Wenn nun aber der Himmel seine Farben auswäscht und ins Meer schüttet, dann verwaschen sich am Horizont manchmal lange dunkle Wolkenfetzen mit den Wellen, und wo man den Blick hebt, sieht man plötzlich eine 30 oder 40 Meter Welle auf sich zurollen. Oha.

Das Gehirn ist unterfordert von den wenigen Reizen, beginnt sich -vor allem bei Übermüdung und Verausgabung- selbst Reize zu schaffen. Und so knackt das Ruder nicht mehr nur einfach, sondern ruft meinen Namen. Der Wind singt, die Wellen formen sich zu Fischen und der Duft frisch gemhten Grases erfüllt die durchfeuchtete Kabine.

Aber alles harmlos und jetzt habe ich auch deutlich mehr Schlaf als noch vor ein paar Tagen. Und kann auch endlich wieder ausreichend essen. Zudem nehme ich an, dass die Scopolamin Patches gegen die Seekrankheit, die ich bis vor wenigen Tagen tragen musste, hier nicht wirklich dienlich waren. Als Alkaloid des Stechapfels und der Alraune … nunja.

Auch wenn ich gern über Delfine schreibe, die mich morgens begleiten -auch wenn ich glücklich im Sonnenaufgang die Bilder für Euch hochlade – auch wenn ich die Zeit hier wirklich sehr intensiv erlebe und an keinem anderen Ort sein möchte – es ist kein Pappenstiel. Vor allem die ersten zwei/drei Tagen waren mental wirklich Hardcore. Weiß nicht, ob ich das in den Blogeinträgen richtig verarbeitet habe. Jetzt schicke ich meinen Kopf von einem Extrem ins andere. Aus dem totalen Alarmzustand in die absolute Deprivation, Reizarmut. Würde mich also nicht wirklich wundern, wenn ich morgen zwei Vögel zu Besuch habe.

Anderes: Der Wind sollte weniger singen, sondern eher die Richtung drehen und etwas kräftiger schreien. Gewünschter Kurs über Grund ist zwischen Wellen und Wind(chen) kaum zu halten. 20kn wären wieder super. Kann ich mich aufs Rudern konzentrieren und muss nicht kompliziert mit den Füssen steuern. 40sm weiter östlich sollte ich rudern, fürchte die Strömung reisst ganz ab, oder dreht, so weit im Westen. Kann jetzt aber nicht anders, halte auf 225°. Wind dreht zwischen NE/SE. Rudere 8 Stunden pro Tag und gönne mir nach wie vor 4 Stunden mehr um zu ruhen und zu schlafen, um die Einbussen der ersten Nächte zu kompensieren. Die üblichen Schmerzen im Rücken habe ich jetzt im Griff. Kann auch wieder super sitzen. Hände machen überraschend gar keine Probleme – die Strategie mit dem Griffband und den richtigen Pflegeprodukten hat mir größere Blasen erspart. Ich habe meinen Groove wohl wirklich gefunden.