Nominiert für den Scheiterhaufen

Ich wurde nominiert …. für die „ALS Ice Bucket Challenge“.

… nun gut, was für eine Überraschung, was für ein Gaudi, Herrje. Also, gegen den Strom, wie immer, auch wenn da Eiswasser fließt:

Nur, eine „Krankheit“ wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist mir ehrlich gesagt so ziemlich scheißegal – ist erstmal nur ein verdammt kompliziertes Wort, Futter fürs Hirn. Und Eiswasser kann gar nicht so kalt sein, wie die Herzen der Meisten (sicher nicht aller!), die es sich bei dieser Kampagne über den Kopf schütten. George W. Bush? Ernsthaft?! Ja, der kennt sicher die Namen von Krankheiten und der kennt die Manager der Pharmakonzerne persönlich, die da „forschen“. Forschungsbudget halbiert, Markt verdoppelt. Der MENSCH hinter der Krankheit aber, der ist für Herrn Bush bestenfalls eine Stimme auf dem Wahlzettel, die sich doch bitte noch über wenigstens zwei Legislatureperioden zur Wahlurne und zur Arbeit schleppen soll. Meine Meinung. Aber was weiß ich schon.

Yupp, das steht jetzt hier. Genau so. Wort für Wort.

Ich werde Euch – und das ganz ohne schlechtes Gewissen – enttäuschen müssen. Ich schütte mir trotz Nominierung kein Eiswasser über den Kopf, und werde sogar so ein „Unmensch“ sein und bei der Kampagne heute mal nichts spenden. Ich setze mich nur hin für fast eine Stunde und schreibe, mache mir wirklich Gedanken. Sorry, wenn es die falschen sein sollten. Ist halt kein Geld und kein Like-Magnet, was ist das schon wert. Habe nur Gedanken und nicht mal die Figur von Helene Fischer, die sich da den Kübel über den gestählten Leib ergießt.

Ab hier wird ohnehin kaum einer mehr weiterlesen, Spielverderberin eben. Dauert auch zu lange, müsste man sich gegebenenfalls auch noch mit auseinandersetzen … das mit dem Eiswasser ist deutlich schneller abgewickelt. Also was solls. Auf den Scheiterhaufen mit mir! Ich werde schon so eine herzlose A-Soziale-Netzwerkerin sein, die sich sonst nicht engagiert für andere, sich reinhängt darin, die Welt und das Miteinander zu verändern. Und vor allem, werde ich jemand sein, der keinen Spaß versteht. Logo. Frau Jakait findet das nicht lustig, noch setzt sie sich ein für andere – nicht im Netz, nicht auf Facebook, nicht auf Twitter … und dann ja wohl auch nicht im Leben, oder?

….

Früher habe ich bei solchen Aktionen im Impuls doch den Paypal Button gedrückt, mich aber nicht mal um die Menschen gekümmert, die nur 400 Meter vor meinem Haus unter einer Brücke schlafen, die allein in Hospizen nur sieben Straßen weiter an Krankheit und Einsamkeit sterben. Und ganz ehrlich: Ich konnte schon kaum mehr noch echte Freunde „nur einfach“ mal festhalten, wenn sie den Mensch verloren haben, der ihnen am meisten bedeutet hat. Ich war tot, innerlich, aber für den Paypal Button hats noch gereicht. Und das Eiswasser, ja mein Gott, das hätte ich auch noch irgendwie hinbekommen, für 20 hippe Likes auf Facebook, sicher.

Wo ist eigentlich das nächste Hospiz bei Euch, wer weiß das überhaupt noch? Da sterben sie dann, die „Menschen“ hinter der Krankheit, auch hinter Amyotropher Lateralsklerose, oder an jeder der tausend anderen Krankheiten auch … und manche sterben nur an zerbrochenen Herzen. Jeder kennt dann zwar dank solcher Kampagnen sicher auch den Namen des Leides, an dem da irgendwann, irgendwo sicher mal jemand gestorben sein wird, aber den Menschen selbst, dieses zerbrechliche Wesen hinter Namen und Diagnosen, dieses atemende, hoffende Ding, das nur Liebe und Frieden sucht, ist am Ende nur ein weiter Name auf dem Todenschein, den wir nie lesen. Ein Mensch, der uns hier, die wir noch halbwegs gesund sind, am Besten bloss nicht im Leichenwagen über den Weg fährt – uns vergegenwärtigt, dass wir selbst bald dran sind. Vergessen, verdrängen – das geht am Besten mit noch mehr Wissen und Gaudi.

Wenn jeder sich um die überschaubare Anzahl an MENSCHEN sorgen würde, die um ihn herum direkte Hilfe benötigen, anstatt sich um mehr Aufmerksamkeit für eine hundertausenfach verbreitete Krankheit und das Leid der ganzen Welt zu kümmern: Wir hätten plötzlich Mitgefühl anstatt Mitleid. Und auch ALS Erkrankte hätten es, denn auch um sie herum leben Menschen wie Du und ich. Für Mitgefühl braucht es einen Menschen gegenüber, mit dem wir mit-fühlen, dazu müssen wir ihn kennen, mögen, lieben, kommunizieren: Krankheiten, ja die kennen wir, die Diagnosen und Symptome sie sind schnell recherchiert. Danke Google! Und mit Schmerz und Hilflosigkeit, da kennen wir uns aus – da leiden WIR dann mit. Aber WIR leiden – nicht der Mensch mit ALS, der eigentlich davon betroffen ist, den wir nichtmal kennen, von dem wir einfach nur irgendwie „wissen“. Wissen. Wieder nur Kopf … ein Herz weiß nicht. Und ein Kopf voller Angst forscht nicht um zu heilen, sondern er forscht am liebsten um noch mehr, noch bessere Ablenkungen vor der eigenen Hilflosigkeit durch Konsum gewährleisten zu können. Und auch Krankheiten, Symptome, Diagnosen und Schicksale tausender Menschen kann man konsumieren. Worum geht es bei der Challenge wirklich: Um ALS erkrankte Menschen, oder darum sich selbst mal kurz in den Eiswasser-Fokus zu stellen, und die Chance zu nutzen, die eigenen Kreativiät mal aufblitzen lassen zu können, die ja sonst keiner mehr erkennen will? Nur so eine Frage, in den Raum geworfen. Wer sie auffängt, selbst schuld. Wir leben im 21. Jahrhundert und haben immer noch nicht begriffen, dass wir mehr sind als das, was ein Kopf aus uns machen kann: Rollenbild, Konzept, Wissen.

Hundertausende Leute, Menschen, Individuen leiden an ALS? – Wieviele davon haben ein Gesicht für uns, Augen aus denen Tränen fließen, Augen, die uns anstarren? Sind ein „DU“? Auf das Leid Hundertausender aufmerksam machen wollen, aber das Leid der eigenen Eltern im Heim verdrängen. So in etwa ticken wir als Gesellschaft.

Egal. Scheiterhaufen. Wer wirft das Streichholz? Bitte nur vorher noch einmal googeln, wie der Junge mit ALS da eigentlich hieß, der die Kamapge ursprünglich initiiert hatte.

Wenn ihr dann krank seid, dürft ihr in einem jedenfalls Trost zu finden: Die ganze Welt kennt den Namen euer Krankheit. Krebs, Depression, Leukemie .. was auch immer. Aber wer kennt euch? Wer fühlt wirklich mit? Das ist nur eine Schublade, in die ihr passt. Obgleich euer Leiden so persönlich ist. ALS ist ein Rollenbild in das wir „Menschen“ inzwischen strecken, so wie „Menschen“ eben auch nur ein Rollenbild ist, eine Schublade – so wie Kommunisten, Terroristen, Seperatisten, Die Guten, die Schlechten, Wir, Ihr…
Das DU stirbt, die Schublade füllt sich. Schubladen bleiben nur Schubladen, Rollenbilder bleiben Rollenbilder, bis sie irgendwann mal Feindbilder werden. So wie in der NS Zeit, erwischt es dann auch kranke Menschen. Weil Massen in Schubladen nichts kennen als Schubladendenken. Weil es einfach ist, eine Schublade zu töten, wenn man nicht das DU darin erkennen muss. Sorry, da bin ich aber was abgeschiffen eben … Asche auf mein Haupt. Und das wegen so was wie dem bisschen Eiswasser. Relax, Janice, alles gut!

Alles hat ein Ende, auch die Ice Bucket Challenge, dann sind wieder Katzenvideos dran, bis das Leben irgendwann vorbei ist. Glücklich ist, wer vorher noch die nächste Challenge gegen Systemische Sklerodermie, Glioblastoma multiforme oder Episeptische Allergomiezidose mitmachen darf. Und irgendwann, irgendwann macht jemand ne Challenge um mehr Aufmerksamkeit für „Das Leben“ selbst zu generieren, auch das endet von allein tödlich.

Entschuligt bitte die Tippfehler und diesen Text als impulshafte Antwort, bin seit 40h wach und im Abenteuer Meer unterwegs und wollte eigentlich lieber ins Bett, als über die Tastatur. Nun ja, so bin ICH. Wenn das nicht ok ist, wenn das krank sein sollte im Denken: Dann organisiert bitte ne Challenge für mich! „Anyway!“, sagte Hemmingway. Das eine ist Schreiben und Denken in Schubladen, das andere ist Handeln.

Und wo ich schon mal bloge: Hier auch der heutige Auftritt bei „3nach9“ im NDR. Gute Nacht. Morgen muss ich wieder fit sein, das übliche Flaschendrehen mit Freunden wartet, mit Menschen, über die ich auch viel weiß, die ihre Probleme haben, aber die ich vor allem gern wieder in den Arm nehme. Und dann verschmilzt das ICH und das Du für einen Moment zu einem Ganzen, das keine Unterschiede kennt.

Ach ja: Hashtag vergessen. Verbindet und rettet sicher Leben! #ALSIceBucketChallenge