Fliegen ist das neue Schwimmen

Etwa eine halbe Stunde lang starre ich gebannt auf den Horizont, bin aufgeregt, schreie wie ein kleines Kind. Müsste handeln, doch kann den Blick einfach nicht von diesem schwergewichtigen Schauspiel abwenden. Direkt vor mir ein 288 Meter langer Tanker mit dem Namen Filikon. Ich sehe die Umrisse dieses tonnenschweren Stahlmonsters im Gegenlicht der gleißenden Sonne. Schweißperlen auf meiner Stirn, wohl auch von der sengenden Sonne. Doch ich springe nicht ans Funkgerät, ändere nicht den Kurs. Bin erstarrt. Nur meine Pupillen wandern, nur ein ganz klein wenig. Zwei gigantische Wassersäulen hieven sich empor. Ein dumpfes Klatschen folgt. Die Kamera läuft. Wieder wandert mein Blick zum Tanker. Und zurück. Habe Schwierigkeiten das Objektiv in dem rollenden Boot auszurichten. Stehe gedrängt an Steuerbord, das Boot ist nicht mehr ausbalanciert, hat mächtig Schieflage. Mir läuft die Zeit davon! Ich muss den Kurs prüfen!

Und da! Wieder! Dutzende Tonnen schieben sich plötzlich aus dem Wasser. Nicht in den Himmel, nein, vielleicht 15 Meter hoch. Es erscheint nicht wirklich wie der Start einer Rakete. Und doch: Es ist einfach eine Sternstunde! Ein Buckelwal springt zum 60sten Male aus dem Wasser, den weißen Bauch voran in meine Richtung. Er dreht sich in der Luft um 180° um seine Körperachse, die Finnen angewinkelt, und schlägt mit so einer Brachialgewalt mit dem Rücken auf das Wasser, dass ein 288 Meter langer Tanker auf Kollisionskurs nur noch belanglos erscheint.

Seit dreißig Minuten verliere ich mich in diesem Schauspiel. Bin bis in die Herzkranzgefäße von dieser Schönheit infiziert. Ich zähle die Sekunden. 28,29, 30 … und da, wieder steigt er aus den Fluten. Ich lache. Ein Gedanke drängt sich, am Kloss im Hals vorbei, aus dem Zwerchfell in den Kopf: Er fliegt nicht so filigran wie die Fliegenden Fische die ich jeden Tag sehe, aber ich glaube ich hätte ein größeres Problem, wo ich jeden Morgen Buckelwale auf meinem Deck aufsammeln müsste. Und ich schreie wieder: JUMP! JUMP! Ich weiß das ist albern, bin mir längst sicher dass er mich wahrgenommen hat. Mich und mein Boot. Er umrundet mich, ganz bewusst. Genug Abstand für uns beide. Das ist meine Show!

Der Wal taucht ein letztes mal auf. Bläst zwei Fontänen und verschwindet. Mein AIS Kollisionsalarm löst aus und drängt mich zum Handeln. Die Sicherheitsdistanz zum Tanker wurde unterschritten. Offensichtlich nicht nur für mich. Ich sehe den Wal nicht wieder. Ich zweifle nicht daran, dass es der Lärm der gewaltigen Schiffmotoren und Schrauben war, der diesen Tanz beendete.

Ich liege nun, Stunden später, in meinem Schlafsack. Schaue mir die Videos an, lade die Bilder für euch hoch und schreibe. Seltsam. Wenn ich so darüber nachdenke. Wie symbolgewaltig dieser Tag heute war. Jeder der daran teilhaben könnte, würde verstehen warum ich hier gegen den Unterwasserlärm rudere. Aber wie viele Buckelwale und Öltanker sehen wir schon auf dem Weg ins Büro jeden Morgen?!

Ich hoffe der Wal ist wohlauf. Wurde nicht wie die vielen Wale im Mittelmehr von Schiffsschrauben zerhackt. Das ist leider die Realität, ein großes Problem und kein Ausnahmefall. Sicher, die Tanker sind nicht das einzige Problem. Aber ein Problem das wir lösen können. Das Pelagos Institut errichtet zum Beispiel ein passives Ortungssystem für Wale im Mittelmeer, dass Schiffen die Position der Tiere übermittelt und entsprechend zum Ausweichen zwingt. Ein Projekt von vielen. Unterstützt die Arbeit von OceanCare, informiert euch. Ihr müsst nicht über einen Ozean rudern um etwas zu ändern!

Anderes: Heute morgen wurde ich um 3:00 Uhr UTC von meinem ersten Hochseegewitter überrascht. Ich öffnete die Augen – irgendwas stimmt nicht dachte ich noch. Stille. Absolute Stille. Das Boot bewegte sich kaum. Das gibt es selten. Ich öffnete die Luke. Der Mond stand senkrecht über mir, es war taghell. Absolut friedliche See, keine Lüftchen wehte. Geisterstunde! Ich stieg aus und bemerkte dicke Wolken am Horizont. Ahnte was das bedeutet. Die Ruhe vor dem Sturm! Und schon blitze es. Die Wolken strahlten wie Glühbirnen. Faszinierend und beängstigend zugleich. Ich überprüfte das Boot, laschte alles fest und bereitet mich auf eine ungemütliche Rest-Nacht vor. Ein unglaublich heftiges Gewitter entlud sich. Nie habe ich so etwas gigantisches an Land gesehen. Und so schnell es kam, so schnell war es vorüber. Es blieb einzig der Südostwind. Südost! HALLO! Das ist die falsche Richtung! Nun ja, damit darf ich mich jetzt ganz aktuell auseinandersetzen. Versuche alles um nicht wieder nach Norden abzudriften. Rudere Zickzack. Komme schlecht voran.

Es war jedenfalls die erste Nacht seit einer Woche, in der keine Fliegenden Fische an Deck landeten. Was ein Drama! Ich zähle inzwischen mehr als 40 Stück, die sich irgendwo verfangen haben, oder irgendwie gegen die Decksaufbauten geknallt sind. Horrorbilder! Jeden Morgen muss ich mich überwinden die Luke zu öffnen. Schon ahnend, was mich wieder für ein Schlachthof auf dem Deck erwartet. Es ist ein wunderschönes Schauspiel den Fischen beim Fliegen zuzusehen. Sogar ganze Schwärme, hunderte von ihnen, schwirren regelmäßig mit Höchstgeschwindigkeit funkelnd am Heck oder Bug vorbei. Aber wo sie meinen Kopf nur um Zentimeter verfehlen, oder mich sogar am Körper treffen oder komplett am Boot zerschmettern: Mein Gott!

Habe nun den zweiten Hai gesichtet. Gestern Abend war der Seegang fast perfekt zum Rumpfschrubben – es wäre jedenfalls ein Versuch wert gewesen mit dem Fallschirmanker am Bug. Nur sehr selten rollten mehr als 1 Meter hohe Wellen heran. Das gab es seit Wochen nicht mehr! Aber eine innere Stimme ermahnte mich, dass es in der Dämmerung die meisten Haiangriffe gibt. Ja, ich hatte Schiss! Weiß nicht ob ich schon wieder einen Hai als Begleiter habe. Haha. Lacht nur! Jetzt habe ich wieder zu heftige Wellen. Mist!

Endlich sind die Doraden angekommen. Habe lange darauf warten müssen. Erst erschien Spotty, mein erster Pilotfisch. Einsam muss es da unten gewesen sein. Und langweilig, denn immer versuchte er meine Kamera zu necken. Gestern dann wurde ich im Rudersitz von einen blauen Schimmer im Meer überrascht. Strahlend blau, gelbe Flossen: Doraden! Endlich. Sind immer ein gutes Omen und eine gute Unterhaltung. Plötzlich sind auch Gelbflossen-Thunfische da und Makrelen. Scheint ich habe endlich wärmere Strömungen erreicht. Und ja! – Mein Vogel, meine Sturmschwalbe, ist immer noch da. Besucht mich jeden Morgen und jeden Abend. Habe also reichlich Gesellschaft.