Im Strom der Unglaublichkeiten

Was habe ich noch gestern Nacht geschrieben? : „Und am nächsten Morgen zieht der Ozean wieder seine schönsten Kleider an und versucht mich wieder zu versöhnen“. Oder so ähnlich. Haha. Heute hat er offenbar auch die schönsten Schuhe angezogen, sonst würde ich ja nicht sofort wieder einen Eintrag im Blog hinterher schieben. Ohjeeeee … heute hat er mich komplett um den Finger gewickelt. Sprachlos saß ich heute morgen da, unfassbar, unglaublich!

Seit Tagen sehe ich immer wieder eine schwarze Finne. Naja, ich meine, ich bin mir immer fast sicher gewesen. Aber so schnell wie ich reagieren konnte, war sie auch gleich wieder verschwunden. Hätte ja auch ’ne Welle sein können, und mein Kopf malt sich dann einen Wal unten dran. Würde mich längst nicht mehr wundern. Aber gestern war ich mir wenigstens so sicher, dass ich zumindest mal kurz die Flosse bei Facebook erwähnt habe. Mensch, kann doch nicht wahr sein. Und dann, fast immer trieben seltsame, wellenlose Wasserflächen von fünf bis zehn Metern Durchmesser auf dem Ozean. Schwer zu erklären. Als hätte jemand einen Tropfen Seife oder Öl ins Meer getröpfelt. Die kleinen Wellen brechen dann zusammen, ihr kennt das, Physik Klasse 4. Sind das Zeichen SEINER Anwesenheit? Hat er etwa ins Wasser gepinkelt? Aber aber! Oder sind das Atemspuren? Und überhaupt, wie oft höre ich einen Wal abblasen. Kann ihn nicht entdecken wenn ich mich umdrehe oder die Luke öffne – sicher, alles nur
Einbildung …

Heute Morgen das gleiche Spiel. Ich öffne die Luke, eine schwarze Finne taucht ab. Direkt vorm Bug. Und wieder dieses Spots im Wasser. Ich hatte keine Eile, griff aber zur Kamera. Erwartete nicht wirklich einen zweiten Blick auf mein Fabelwesen erhaschen zu dürfen. Aber Irrtum Madame! ER IST ZRÜCK! MEIN WAL IST ZURÜCK! Ihr erinnert Euch? Der schwarze Wal der mich beim Rumpfschrubben geküsst hat. (Auch wenn der Moment eher panisch als romantisch war). Direkt neben dem Boot taucht er plötzlich auf, bläst, rollt langsam seine ca. 8m aus dem Wasser und verschwindet wieder. Irrtum ausgeschlossen! ICH WUSSTE ES! ICH WUSSTE ES DIE GANZE ZEIT! Dieser Wal folgt mir. Ich bilde mir das nicht ein! Und es war kein Zufall dass er mich abgestumpft hat – er war zu diesem Zeitpunkt sicher schon längst auf meiner Spur, war neugierig, nutze die Chance für eine persönliche Begrüssung. So in etwa. Ich bin mir sicher dass es der gleiche Wal ist. Die Kette an Hinweisen, nein, das ist kein Zufall. Und selbst wenn: Jetzt habe ich kein Interesse mehr an Logik und wissenschaftlichen Einwänden dass Wale so etwas nicht tun, dass Wale Booten nicht zwei Wochen lang folgen. Ich kümmere mich jetzt nicht mehr um Wahrscheinlichkeiten und alternative Erklärungen. Ich werde für den Rest meines Lebens diese Version der Begebenheit ausatmen: Es ist MEIN Wal!

Aber Achtung: Also wäre das nicht schon unglaublich genug:

Die Kamera läuft. Ich rufe ihn. Juble dass er sich wieder richtig zeigt und kein Versteckspiel mehr betreibt, die Scheu ablegt. Frage mich was er will, warum er mir folgt, was nun als nächstes passiert. Noch ein Kuss? Hat er sich verliebt? Haha. DA TAUCHEN PLÖTZLICH MEHRERE FINNEN AUF. Immer etwa 5 bis 10 Stück, im Wechsel. Mindestens 30 insgesamt, wenn nicht 50! Ach, was habe ich mir die Augen gerieben! DELFINE! Ich kann es nicht glauben. Ich weiß der Gedanke ist absolut absurd, aber sofort steigt er mir in meinen Kopf: Der Wal hat mir Delfine vorbeigebracht. Graue lustige Winzlinge von anderthalb Metern, die mir aus Richtung des Sonnenaufgangs mit ihren Finnen entgegenwinken.

Ehe ich mich halbwegs einkriege, ist das ganze Boot das Zentrum eines Delfinschwarms. In allen Richtungen, unter, neben, vor dem Boot. Was ein Spektakel, wie ihr auf dem Foto seht. Sie rollen, klatschen aufs Wasser. Ich glaube wie ein kleines Kind, dass sie sich köstlich über die Überraschung amüsieren. Unterwasser hört die Kamera jedenfalls ihr Geschnatter.

Ein paar Minuten später sitze ich an Deck. Ich sitze einfach nur da. Ich bin sprachlos, ich bin wirklich zutiefst ergriffen. Aus der tiefsten Tiefe meiner Seele, und der des Ozeans e-r-g-r-i-f-f-e-n. An Wunder glaube ich nicht, aber DAS … das war eine Hausnummer!

Es wird wieder totenstill. Wirklich: totenstill! Diese unglaubliche Stille ist für mich die intensivste Erfahrung auf See. Jetzt erklärt sie endgültig den Moment zur Magie. Sie ist sehr, sehr rar hier. Nichts, GARNICHTS ist zu hören. Die See glättet sich. Kein Wind. Die Sonne schickt sich an in Kürze jeden Gedanken lautlos zu versengen.

Der Verstand ist durchaus in der Lage diese Stille für eine gewisse Zeit zu erdulden, er füllt sie mit mutigen Gedanken. Ermutigt sich selbst in der Dunkelheit der Stille. Aber wie bei einer Sonnenfinsternis, umhüllt ein schwarzer Schatten die Ohren und ein sanfter Druck in der Kehle erinnert daran zu schlucken, was einen leichten Druck, einen kurzen Geräuschimpuls, über die Ohrtrompete ans Trommelfell schickt. Keine Stimme spricht, keine Uhr tickt, nichts knistert im Gebälk meiner Welt zwischen Kiel und Ruder … ich sehne mich, ohne es sofort zuzugeben, nach einem sanften Geräusch, nach einer Stimme. Wie einsam wir sind wenn wir nicht mehr kommunizieren, gar nichts mehr hören können. Wenn wir Momente wie diese nicht teilen können. Würde gern den Kopf ins Wasser tauchen, das Geschnatter der Delfine hören, soweit weg können sie ja nicht sein. Ich möchte teilhaben am wilden Leben. Naja … da schliesst sich der Kreis. Würde wahrscheinlich Kopfschmerzen bekommen wenn der nächst
e Tanker vorbeifährt. Ich rudere nicht wirklich für die Stille merke ich … ich rudere für das Recht jedes Lebewesens auf Kommunikation, und ich rudere damit auch ICH endlich wieder eine Stimme hören kann … damit ich erzählen kann was mir hier Unglaubliches passiert ist!

Die neuen Drückerfische, die sich meiner spirituellen Party angeschlossen haben, jagen im Wasser. Schnappen nach allem was sich bewegt. Tauwerk, Ruderblätter … sicher auch Zehen und Finger. Ich lächle. Setze mich an die Ruder, schiebe mich weiter gegen die Strömung, ohne Wind in die spannende Zukunft auf See, doch letztlich vor allem wieder dem Land entgegen.

Und der Wal? Kommt er wieder? Wird er mich weiter begleiten? Vielleicht war es ein Abschiedsgeschenk, die Delfine meine ich. Ach, Herrje – wie höre ich mich denn bloss an!? Wie eine 5jährige die gerade Free Willy geschaut hat. Schluss jetzt! Nicht weich werden Janice! Bald wird es wieder dunkel, und die Haie bitten um Aufmerksamkeit und Mut … da wird dir dann leider kein romantischer Haifilm in den Sinn kommen. Leider.