Heidelberg ich liebe Dich, ABER …

Ist es nur hier so … geht es nur mir so? Heidelberg, meine Heimatstadt, ich liebe Dich. Aber wir müssen reden! Viele Deiner Bewohner machen es mir immer schwerer, hier meine Liebe zu Dir zu leben. Es betrifft Menschen mit allen Hautfarben, Nationalitäten und Religionen – Deutsche und Nichtdeutsche gleichermaßen – 
aber wir haben hier offenbar ein immer verstörenderes „Assi-lanten“-Problem.

Ein ganz normaler Samstag in Deinen Gassen und in Deinen Parks – was ich erlebe ist Rücksichtslosigkeit und sogar Gewalt in einem Ausmaß, das mich verstört. Und ich frage mich, ob es anderswo eigentlich besser ist?

Es ist heiß. Nach einem Foto-Shooting auf den Neckarwiesen laufe ich gestern, am Samstagmittag mit der Fotografin durch den Stadtteil Neuenheim. An der Kreuzung am River Café ist der Bürgersteig wie immer zugeparkt, da ist wenig Platz. Wir haben Gepäck dabei, Fotokoffer, Taschen, wir laufen langsam, besprechen den Tag und reden über den Artikel, der in Kürze mit den Fotos erscheinen soll. Ein Mann, augenscheinlich ein Deutscher kommt uns entgegen – Typ: Deutsche Eiche. Eilig hat er es, aber die Sonnenbrille verbirgt auch sein breites Grinsen nicht – er hat es wohl gern eilig! Da er schnell vorbei will, dreht er seine linke Gorillaschulter nach vorn und rammt sie mir wie eine Abrissbirne in den Brustkorb und schiebt mich weg. Sein Weg ins Irgendwo der weiteren Rücksichtlosigkeit ist damit frei, er kann passieren. Ich sacke zusammen, wir sind sprachlos und ich spüre noch immer den dumpfen Schlag in meinem Körper. Was war das eben?

Ich laufe zum Neckar um dort auf eine Freundin zu warten. Habe etwa 30 Minuten Zeit für ein paar Kirschen vom Markt und für drei Zigaretten. In der Ferne, direkt am Ufer, will ein älterer Mann eine sehr junge Frau mit Kopftuch drei Mal mit der flachen Hand schlagen. Soweit ich es erkennen kann, trifft er aber nur ihre Arme, die sie sich schützend vor den Kopf hält. Die anderen Männer, die im Schatten Shisha rauchen, lachen in die andere Richtung. Auch für die beiden deutschen Männer, die Frisbee werfen, scheint wohl nichts Ungewöhnliches daran. Ich stehe auf und laufe vorbei, schaue den Mann an und schüttle mit dem Kopf. Er erhebt seine Hand und wirft mir irgendwas in türkisch an den Kopf. Ich nehme an, es hieß soviel wie: „Verpiss Dich, was geht Dich das an!“. Ich spreche kein Türkisch.

Ich laufe weiter, Richtung Café Bar Centrale .. im weiten Bogen um die Frau herum, die ihrem weißen, ausgewachsenen Bull Terrier hinterherrennt, der weder angeleint ist, noch ihren Rufen folgt. Vielleicht versteht der Hund aber einfach nicht ihr Deutsch. Wer weiß das schon. Der Kinderspielplatz ist in Sichtweite, er will sicher nur spielen.

Einige Stunden später sitze ich wieder auf einer Bank an den Neckarwiesen, hinten bei der alten Trauerweide, etwa 50 Meter entfernt von dem Ort, an dem ich vor einigen Monaten von einem Mann überfallen und übel attackiert wurde. ‚Warum verrohen Menschen immer mehr?‘ – ‚Oder habe ich einfach nur Pech und treffe auf die falschen?‘ – solche Gedanken gehen mir so durch den Kopf.

Links und rechts von mir sitzen Flüchtlinge auf einigen Nachbarbänken. Ich glaube sie kommen aus Nigeria, jedenfalls kamen die Männer, mit denen ich bisher Gespräche hatte aus diesem Land. Aber ich rede nicht mehr mit ihnen, denn mir ist aufgefallen, dass sie nur Gespräche mit Frauen suchen und dies immer wieder in einer Art und Weise und mit einer Vehemenz, die mich erschreckt.
Auch an diesem frühen Samstagabend dauert es keine zehn Atemzüge, bis der erste sich von seiner Bank erhebt, und sich neben mich setzt. Es läuft noch der gleiche Song in meinen Kopfhörern, mit dem ich mich gerade hingesetzt hatte. Jetzt muss ich sie aus den Ohren nehmen, denn er spricht mich wiederholt an, und es ist egal in welche Richtung ich wegschaue und wie beschäftigt ich auszusehen versuche. Er fragt mich mit gebrochenem Englisch, ob ich reden will und fragt, warum ich allein wäre. Ich bin freundlich und sage ihm, dass ich hier hergekommen bin, um mal zu schweigen, um alleine zu sein und Musik zu hören. Verabschiede mich und stecke mir die Kopfhörer wieder tief in die Gehörgänge. Etwa fünf Minuten später muss ich ihm zum fünften Mal! erklären, dass ich nicht reden will. Als er mich antippt, stehe ich beim sechsten Mal auf uns gehe. Weit komme ich allerdings nicht – zwei weitere junge Männer erheben sich von der Bank an der ich vorbeilaufen muss und laufen an meiner Seite mit und sprechen mich ebenfalls an. Auch ihnen erkläre ich zweimal, dass ich nicht sprechen und alleine sein möchte. Es interessiert sie einfach nicht. Und so geht es mir eigentlich seit einem halben Jahr fast jeden Tag, an dem ich am Neckar sitze oder laufe. An diesem Samstag sind sie so aufdringlich, dass ich am Kiosk auf der Toilette verschwinde und warte bis sie weg sind.

Gegen 22 Uhr laufe ich zur alten Brücke, freue mich auf die Schlossbeleuchtung. Menschenmassen strömen das Neckarufer hinauf. Da ich telefonieren muss, laufe ich links unter der Theodor-Heuss-Brücke durch, hinter den geparkten Autos bleibe ich stehen. Aber auch hier bin ich nicht allein. Ein Mädchen, vielleicht etwa 16 Jahre alt, sitzt dort und heult. Sie ist betrunken. Aber angeblich ist alles Okay, lallt sie jedenfalls. Also laufe ich weiter und schaue mir zusammen mit tausenden Menschen und tausenden Handykameras das Feuerwerk an. Schön, ja. Und auch ein „Fest“ für die Menschen die hier vom Einsammeln leerer Pfandflaschen leben. Ihre Körbe und IKEA-Taschen sind so überladen, dass sie kaum noch ihre Räder vorwärts schieben könnnen, ohne ständig einen Teil ihrer Ladung zu verlieren.

Auf dem Rückweg werde ich wieder zweimal heftig angerempelt, meine Freundin ebenfalls. Dann schneidet ein Segway Fahrer einem Radfahrer auf dem Radweg den Weg ab. Der Pedalen-Benachteiligte schimpft, wird aber umgehend und provokativ noch einmal geschnitten. Es folgt eine Szene, die in Hollywoods: „Der völlig falsche Film“ hätte laufen können. Die Beiden beginnen, während sie nebeneinander herfahren, miteinander zu kämpfen und versuchen sich von ihren „Zweirädern“ herunterzuziehen. Allein das Bild ist schon absurd! Ein Mann auf einem Segway und einer auf einem Rad kämpfen miteinander. Passanten springen zur Seite, weil sie fürchten vom Segway umgefahren zu werden. Und das war echt gefährlich, weil schnell! Es eskaliert. Der Radfahrer springt während der Fahrt vom Bike, schreit, rennt dem Segway hinterher und will sich jetzt richtig prügeln. Es folgt die Fluchtszene, die nun einmal ein waschechter Actionfilm aus Hollywood braucht, die Fahrradspur an der Theodor-Heuss-Brücke runter. Segway 1, Radfahrer 0.

Gegen Mitternacht ist noch reichlich was los in der Altstadt. Flaschen werden zerdeppert, Mädchen angemacht. An fast jeder Ecke steht einer und schreit und pöbelt. Alkohol, überall. An der Ampel war es knapp, zwei Jungs haben sich sich wohl doch noch versöhnt und entschieden, „dass sie die Nase des anderen eigentlich mögen“ und nicht brechen wollen (sic).

Auf meiner Straße hängt ein Plaket: Der Astro- und Teilchenphysiker Prof. Dr. Harald Lesch kommt am Dienstagabend in den Stadtsaal nach Heidelberg. Er wird über heftige, spontane und schwer erklärbare Energieausbrüche am Rande des Universums sprechen … ich glaube allerdings, so weit müssen wir gar nicht weg, um die zu beobachten.

Heidelberg, ich liebe Dich. Aber wir haben unser erstes richtiges Beziehungsproblem! Ich habe lange wegeschaut und versucht mich mit Deinen Macken, und den Macken einiger Deiner Bewohner abzufinden und mir alles schönzureden und mich auf Deine wundervollen Seiten zu fokussieren. Wegschauen aber will ich jetzt nicht mehr. Ignoranz bedeutet immer Unfrieden in den Tiefen der Seele.

Ist es nur hier so … geht es nur mir so?

PS: Und man mag sich vielleicht wundern, warum ich dann so oft am Neckar sitze, aber wenn ich auf meinen Heiligenberg hinaufsteige, dann bricht es mir im Moment einfach nur das Herz. Radikaler und ebenso rücksichtloser Kahlschlag, tausende tote Bäume, kaputte Wege. Einer der schönsten Pfade, auf denen ich jemals in meinem Leben gewandelt bin, ist jetzt ein verschlammter Baumfriedhof. Ich könnte hier noch eine Weile so weiterschreiben und das fortführen, je länger ich darüber nachdenke … oh schönes Heidelberg, jeden Tag zerbricht gerade mein Herz ein Stück weiter an Dir.


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