Am Tropf der Freiheit

Wenn jemand wirklich wissen will, wie frei und geborgen er hier lebt, sollte er jemanden fragen, der am Tropf des Systems vergiftet wurde. Der nicht mehr funktioniert, der diesen künstlichen Lebenssaft nicht mehr verträgt, der nichts mehr leisten kann und abgeschnitten wurde. Der Obdachlose, der bei -5°C Außentemperatur neben dem Bankautomaten schläft ist der richtige Ansprechpartner. Er verdient auch nichts mehr am Verkauf von Träumen und Illusionen, er muss keinem mehr etwas vormachen oder andrehen.
Und wen es interessiert, welche freiheitlich-menschlichen Werte dieses System sonst noch verkörpert, für die, die nicht mehr funktionieren, der sollte sich im Klaren darüber sein, dass ihn schon in wenigen Jahren im Pflegeheim effiziente Roboter bemuttern und bespaßen werden, während die Enkel in virtuellen Welten die Unsterblichkeit wähnen.
Und wenn jemand immer noch unsicher darüber ist, ob er hier frei und ganz Mensch mit Herz ist, dann sollte er mal versuchen, für fünf Minuten das mechanische Gedanken-Hamsterrad im Kopf anzuhalten, in das er seit Kindesbeinen an hineingetrieben wurde. Wenn die endlosen Gedankenketten in den Köpfen erstmal ihre Runden drehen, dann muss keiner mehr an Ketten gelegt werden, dann will jeder an den großen Tropf und lässt sich freiwillig die Nadeln in die Venen stechen. Alles gut, solange er diesen Saft ohne Nebenwirkungen verträgt … und niemals die Entzugserscheinungen kennenlernen muss.

… so Gedanken. Nicht immer nur Schöne.

Großen Gefahren habe ich mich ausgesetzt.
Gefährliche Gedanken habe ich gedacht.
Habe viel gewagt und viel verloren.
Doch nichts zu riskieren ist der größte aller Fehler.
Und wofür das alles?
Ein sanfter Windstoß streicht mir durch
die Haare, wie kein anderer Windstoß jemals zuvor.
Und er singt das alte Lied der Freiheit wieder.
Meine Taschen sind leer, mein Kopf ist leer.
Aber mein Herz quillt über vor Glück.
Nur dafür. Das ist alles.
– Trier / Nov.18