Über die Freiheit in einer Welt der Angst

Ich hatte niemals wirklich in letzter Konsequenz nachvollziehen können, weshalb so viele historische Persönlichkeiten nahezu aller Religionen, Länder und Epochen sich am Ende in die Einsamkeit zurückzogen, sich eine Kutte überwarfen und die Türen ihres alten Lebens „einfach“ hinter sich schlossen. Um dann ein demütiges Leben in großer Bescheidenheit aber auch in Armut zu führen: Aber offenbar inmitten es großen inneren Reichtums, und mit ganz anderen Menschen an ihrer Seite, denen sie da nun plötzlich begegneten.

Franz von Assisi kommt mir da in den Sinn, Hildegard von Bingen ein Stück weit, oder die islamische Heilige Rabia von Basra, und so geht das weiter bis Gandhi und Johannes vom Kreuz. So viele Namen steigen in mir auf, – so viele Menschen auch, die nicht mal der Scheiterhaufen vom Weg abbringen konnte. Und am Ende waren selbst Buddha oder Jesus bettelarm, und zählten doch zu den reichsten Menschen auf Erden offenbar. Was ist da passiert mit diesen Menschen und warum gelang ihnen dieser Schritt, der uns so schwer fällt oft? … der Schritt hinein ins Urvertrauen und hinaus in eine andere Freiheit! Meine Mokkakanne steht wie jeden Morgen wieder auf der Herdplatte, ich möchte meine Gedanken heute zu diesem Thema fließen lassen… bis der Kaffee fertig ist, und gewiss ein paar Zeilen länger. #Kaffeegedanken

Viele von uns haben Erfahrungen machen dürfen, die mit Logik und Ratio nicht mehr so einfach zu erklären sind, und die uns Momente tiefster Liebe, Geborgenheit und Friedens in einem ganz außergewöhnlichen Maße gewährten. Damit beginnt jeder Weg, und jede Erfahrung ist individuell, unterschiedlich tief und nicht wirklich vergleichbar. Und auch in der Geschichte der Mystik wurde vielen Menschen eine Erfahrung oder Erscheinung zuteil, und erst diese wies ihnen einen ganz neuen Weg. Immer wieder war es Gott selbst, der sich da offenbarte, so steht es jedenfalls oft geschrieben. Da wurde dann Gott nachgefolgt oder auch mal mit ihm gerungen, so wie es Jakob im alten Testament tat. Aber ein Wunder oder eine Erscheinung allein vermag es selten, einen Menschen sofort, in einem einzigen Augenblick und für immer zu verändern. Vielleicht FÜR einen Augenblick, doch dann übernimmt der Alltag eben doch wieder, und diese Reise beginnt, auf der so viele von uns unterwegs sind… und da versuchen, diese ganz neuen Erfahrungen ins alte Leben zu integrieren. Nach Mythenforscher Joseph Campbell also die letzte große (größte!) Herausforderung der klassischen Heldenreise, nämlich den Schatz zurückzubringen eben, was draus zu machen und vor allem: IHN AUCH ZU TEILEN mit anderen. Hier aber blendet Hollywood in der Regel auch schon wieder ab.

Und ja, es geht auch darum, wieder in diese Erfahrungen selbst ganz hineinzufallen und sie bloß nicht wieder zu vergessen. Und der Kreis der Menschen wird immer kleiner, die einen dabei noch verstehen wollen, – und der Kreis derer wird größer, die einen einfach nur für verrückt erklären. Zu einem Königsweg wird ein Weg ohnehin erst, wenn er auch viele Irrwege überwunden hat. Doch an seinen Irrwegen allein wird der Mensch oft gemessen dann. Wirklich sehen und verstehen werden uns wenige.

„Jemandem, der einen Apfel schält, vorzuwerfen, er befasse sich mit der Schale, ist reine Unkenntnis, auch wenn es so aussieht, als sei die Situation richtig beschrieben.“ – Rabia – Rabaa El-Adaweya

Ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft ich in diesen Raum hineinfiel, in dem es keine Fragen mehr gibt. In dem das Hirn nicht mehr denken kann, weil alles einfach viel zu groß ist. Und in diesem Raum ist alles in sich die Antwort dann .. alles IST einfach. Es gleicht einem Hineinfallen ins Bewusstsein, in Gott, in die Wirklichkeit … doch all das sind nur Worte eben. Diese Momente prägen uns, mal mehr, mal weniger, aber es bleiben doch immer nur Zustände. Und die Natur von Zuständen ist es nunmal, das sie kommen, aber auch leider wieder vergehen.

Und doch gleichen diese Zustände einem Stern am Horizont, zu dem man hineilt. So viele Wege führen dahin: Meditation zum Beispiel, Reizentzug, Yoga, bewusstseinserweiternde Substanzen, Atemtechniken, Beten, Fasten, Chanting … die Liste ließe sich endlos fortführen. Und doch sind all diese Methoden nur Werkzeuge, die uns helfen eine Schwelle zu überschreiten und die Wirklichkeit mal wieder zu besuchen. Aber wir werden wieder aus der Tür geworfen am Ende. Sind noch nicht „fertig“ um dort zu verweilen, müssen weiter suchen und unsere Gedankenwelt aufräumen. Solange wir noch an etwas glauben, egal woran, sind wir noch nicht in dem, was einfach ist. Unser Weg macht uns nackt und wund wieder, er prüft unsere Überzeugungen, erschüttert jeden Glauben, und er enttäuscht all das, was nur Täuschung ist. Dann stehen wir vor uns selbst irgendwann, und unsere Welt beginnt zu beben und zu wanken. Wir selbst müssen uns dann in Frage stellen. Doch wer will das?

Und das ist die größte Herausforderung für einen spirituellen Menschen. Ganz gleich was und wo wir gesucht haben, jeder Weg endet damit, dass wir vor uns selbst (be)stehen müssen, um unsere wahre Natur auch zu erkennen, die in allem ihren Ausdruck findet.

Wie der große persische Dichter und Mystiker Muhammad ar-Rūmī es in seinen Werken beschrieb:

„Ich war ein Suchender und bin es immer noch, aber ich habe aufgehört, die Bücher zu fragen und die Sterne – und angefangen, auf die Lehren meiner Seele zu hören. Ich suchte in Tempeln, Kirchen und Moscheen. Aber ich fand das Göttliche erst in meinem Herzen.“

Und so legte ebendieser Rumi uns auch nahe:

„Vergiss Sicherheit. Lebe, wo du fürchtest zu leben. Zerstöre deinen Ruf. Sei berüchtigt.“

Und das gleicht in frappierendem Maße dem, was tibetische Meister auch ihren Schülern nahelegen:

„Gestehe dir deine verborgenen Schwächen ein. Nähere dich dem, was du abstoßend findest. Hilf denjenigen, denen du nicht helfen zu können glaubst. Woran immer du hängst, lass es los! Geh an Orte, die du fürchtest“ – (überliefert nach Machik Labdrön)

Und führt dieser Rat nicht wieder den Bogen zum Eingang dieses Textes zurück? Zerstörte Franz von Assisi nicht seinen Ruf, um dort zu wirken, wo die Angst nicht hinwollte? Und haben die Menschen nicht die Köpfe über die (damals noch nicht so) heilige Rabia geschüttelt, und sich ihre Münder zerrissen? Sind es nicht der Weg selbst, und unsere Konsequenz, ihn zu gehen, die ihn erst zu einem Weg ganz zu uns selbst machen können … und damit zu „Gott“?

„Die Seele lässt sich mit dem Adler vergleichen, weil diese Seele hoch und immer höher fliegt, höher als alle anderen Vögel. Denn sie hat die Flügel der edlen Liebe. Sie sieht die Schönheit der Sonne klarer, den Strahl der Sonne und den Widerschein der Sonne und des Strahles, und dieser Widerschein erlaubt ihr den Genuss des Markes der hohen Zeder“, schrieb Marguerite Porete.

Und für geschriebene Sätze wie diese ging Marguerite auch ins Feuer. Man geht nicht nur für schöne Worte ins Feuer! Man muss innerlich für etwas brennen, um dafür auch ins Feuer zu gehen. Und auch da standen die Menschen vor dem Scheiterhaufen, schüttelten gewiss ihre Köpfe und zerrissen sich die Münder. Und andere Menschen schlugen sie ans Kreuz …

Verstehst du! Wofür brannten diese Menschen innerlich denn noch? Wie kalt müssen Herzen sein die in der Lage sind …

Ich traue mir durchaus zu hunderte andere historische Persönlichkeiten mit diesen Zeilen hier zu verknüpfen irgendwie, – alles was es bräuchte, wären Zeit und ein wenig mehr Recherche. Und doch eint all die Menschen eines: Ihre feste Überzeugung, dass dieses Leben, in dieser Form nicht die Antwort sein kann. Das brannte stärker in ihnen, als alle anderen Antworten, Versprechungen und Argumente ihre jeweiligen Epoche.

Kirchen und Bücher neigen dazu diese Menschen zu idealisieren, und damit ihre Wege auch zu Über-Wegen zu stilisieren. Wir glauben ja oft schon, da zog ein Buddha los, um die Buddhaschaft zu erlangen, dabei war es nur ein Mensch der durch eine Hölle gehen musste, wie Dante, Jesus, wie du, wie ich. Jeder dieser Menschen aber stand vor den gleichen harten Entscheidungen und Prüfungen wie wir heute. Es waren Menschen wie du und ich .. die eine Wahl treffen müssen, an welche Form der Freiheit wir glauben und worauf wir vertrauen wollen.

Und Vertrauen ist eben nur ein Vertrauen, wo es jede Erschütterung übersteht, – jede Prüfung und jedem Zweifel besteht! Und so ist dieser Weg, den wir jetzt gehen, eben in jeder Herausforderung doch auch eine Prüfung. Und wir haben die Wahl: Wir vertrauen in unser Herz, in uns selbst und in Gott … oder wir vertrauen in materielle Sicherheiten und in die Wahrheiten unserer Zeit.

Wir können schreiben und schreien dass wir vertrauen … doch es wird und ist nur darin erst wirkliches Vertrauen, wo wir es jeder Prüfung entgegenhalten. Ohne einen schweren Weg und schwere Entscheidungen bleibt jedes Vertrauen nur Theater und Theorie. Was wir eigentlich suchen, haben nur sehr wenige Menschen jemals entdeckt. Wenn auch viele hier und heute etwas für sich gefunden zu haben scheinen, was wir suchen, ist etwas anderes und kein Kind des Zeitgeistes.

Und so lasst uns mutiger sein! und jede Prüfung als eine Chance begreifen … eine Chance theoretisches Vertrauen zu wirklichem Vertrauen zu machen. Und damit am Ende ZUR GEWISSHEIT.

Und nur Gewissheit bedeutet auch: es zu Sein!

Bei Gott, ich weiß nicht viel .. aber eines weiß ich nun: Ich weiß warum diese Menschen den Prüfungen standhielten und einem Weg folgten, den nur wenige wirklich wagen. Und ich weiß, einfache Wege haben nirgendwohin geführt jemals. Auch zur Zeit von Jesus sprachen viele Menschen viel daher von Gott und Göttern und dem Dafür und Dagegen … und so tun sie es auch heute noch. Aber dein Weg hat mit ihnen nichts mehr zu tun … dein Weg ist nurmehr ein ganz persönliches Ding zwischen „DIR und dir“ … und die richtigen Menschen werden auch sich selbst und damit auch dir nahe sein.

„Ich will nicht zur Kaaba, sondern zum Herrn der Kaaba. Was soll ich denn mit der Kaaba?“ – Rabia

Indem du dich aufmachst und dich und deine Essenz freilegst, erweist du auch allen anderen Menschen und der Welt den größtmöglichen Dienst. Dazu gilt es, deinen ureigenen Weg zu bestimmen. Und solange du ihn nicht bestimmst, wird es nicht dein Weg sein, und er wird nirgendwohin führen. Wer sich wiedergefunden hat, hat die ganze Welt wiedergefunden; der hört wieder jeden Vogel singen, jeden Grashalm wachsen und jeden anderen Menschen atmen und stöhnen.